Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. So lautet ein Sprichwort. In unzähligen Fällen wird es zutreffend sein. In einem Bereich mit bestimmter Sicherheit nicht. Im Sport Mental Training. Nur wer die Offenheit hat, Dinge ganz bewusst anzusprechen und individuell zu reflektieren, wächst in seiner Persönlichkeit. Ich nehme Sie mit, in die Welt der offenen Worte, die meist eine viel grössere Wirkung erzielen, als wir es erahnen könnten.
Es gibt Momente, in denen selbst die stärksten Athletinnen und Athleten an ihre Grenzen stossen. Nicht körperlich, sondern mental. Der Druck, die Erwartungen, die mediale Präsenz – all das formt ein Umfeld, in dem Stärke oft mit Schweigen verwechselt wird. Dabei ist genau das Gegenteil der Fall: Wer spricht, zeigt mentale Stärke.
Wenn Erfolg plötzlich leer macht – das Beispiel Mathilde Gremaud
Dazu gehören heute unzählige Sportler:innen aus unserem Land. Die Schweizer Freeskierin Mathilde Gremaud gewann an den Olympischen Spielen Gold. Was für viele der Inbegriff von Erfüllung ist, fühlte sich für sie leer an. In der SRF-Dokumentation «Kehrseite – Abseits des Erfolgs» sprach sie offen darüber, dass sie nach ihrem Triumph in ein mentales Loch fiel. Keine Ziele mehr, keine Motivation, keine Freude. Nur noch Leere. Was half ihr heraus? Nicht das nächste Training. Nicht neue sportliche Ziele. Sondern das Gespräch. «Darüber zu sprechen, hilft mir unglaublich», sagte sie. Dieses «darüber sprechen» ist kein banaler Satz sondern eine bewusste Entscheidung, sich zu öffnen, Gefühle zu benennen und damit Verantwortung für das eigene Innenleben zu übernehmen.
Schweigen als Last – und warum Worte befreien
Viele Sportlerinnen und Sportler kennen dieses Schweigen. Das innere Gefühl, dass man «funktionieren» muss. Dass Zweifel, Ängste oder Erschöpfung keinen Platz haben. Doch genau dieses Schweigen ist es, das uns langfristig schwächt. Es kann richtiggehend hemmen. Denn: Was nicht ausgesprochen ist, bleibt in uns. Im Fachjargon bei den Sport Mental Trainern reden wir von internal und external. Internal ist alles, was in uns ist, der externale Bereich ist ausserhalb von unserem Körper. Also geht es darum, unser internales Gefühl mit Worten nach aussen zu transportieren. Worte haben die Kraft, zu entlasten. Wenn wir etwas aussprechen, teilen wir die Last, sodass sie nicht mehr auf unseren Schultern liegt. Eine Athletin, die ich seit einigen Jahren begleiten darf, sagt mir oft, dass sie neben konkreten Lösungsansätzen vor allem die individuellen Gespräche mit mir als ihr Sport Mental Trainer enorm schätze. Sie begründet dies genau damit, dass sie Dinge aussprechen kann, die sie belasten. Das bestätigt meine These: Reden löst nicht immer das Problem, aber es löst stets etwas in uns aus. Doch warum ist das so?
Studien belegen Thesen
Sich «etwas von der Seele reden» ist nicht nur eine gängige Redewendung, sondern hat tatsächlich eine messbare Wirkung. So konnten Forscher der University of California in einer Studie zeigen, dass Personen, die eine negative Emotion mit einem Begriff verbanden, also beispielsweise Wut als solche benannten, nachweislich ihre negative emotionale Reaktion abschwächten. In dem Experiment bekamen die Probanden Gesichter von ängstlichen oder wütenden Gesichtsausdrücken zu sehen. Ein sogenannter Magnet-Resonanztomograf zeigte auf, dass dabei die Amygdala aktiviert wurde. Sie ist eine wichtige emotionale Schaltstelle, die vor allem bei der Verarbeitung von Angst beteiligt ist. Als die Probanden den Gesichtsausdrücken aber einen Namen gaben, ging die Aktivität dieses Bereiches merklich zurück. Das zeigt: Die positive Wirkung eines guten Gesprächs ist immer Ausdruck der Befriedigung eines zentralen Grundbedürfnisses nach Bindung und Nähe. Die Empathie des Gegenübers und das Gefühl, gehört und verstanden zu werden, wirkt sich unmittelbar positiv auf uns Menschen aus.
Othmar Hitzfeld: Vom Erfolgsdruck zur Erschöpfung
Auch Othmar Hitzfeld, einer der erfolgreichsten Fussballtrainer und langjährige Trainer der Schweizer Fussball Nationalmannschaft, sprach Jahre nach seiner aktiven Zeit offen über seine Krisen. In Andreas Bönis Buch «Mensch Fussballstar» beschreibt Hitzfeld, wie er sich nach Jahren des Erfolgs leer und ausgebrannt fühlte, bis er professionelle Hilfe in Anspruch nahm. Erst durch das Reden, durch das Zulassen von Gesprächen über seine Erschöpfung, fand er wieder zurück ins Leben. Seine Geschichte zeigt eindrücklich: Mentale Stärke bedeutet nicht, alles allein zu schaffen. Sie bedeutet, zu wissen, wann reden eine positive Veränderung mit sich bringt und wann es Sinn macht, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Reden als Trainingseinheit für den Kopf
Als Dozent an der Sport Mental Akademie unterrichte ich angehende Sport Mental Trainer:innen unter anderem im professionellen Gesprächsaufbau. Dieser Kurstag ist einer der zentralsten, weil er als Basis dient, für eine erfolgreiche und langjährige Zusammenarbeit mit ambitionierten Menschen in der Welt des Sports. Wir unterscheiden dabei klar zwischen einem sogenannten «Tratschgespräch» und einem professionellen Gespräch. In einem professionellen Gesprächsaufbau versteht es der Gesprächsführer, Vertrauen, Offenheit, Lösungsansätze und konkrete Umsetzungsmöglichkeiten miteinander zu vereinen und dadurch einen grossen Mehrwert für Kunden zu schaffen. Darum geht es. Ein professionelles Gespräch im Mentaltraining schafft Raum und Zeit. Das sind zwei Ressourcen, die im sportlichen Alltag oft fehlen. Hier dürfen Athlet:innen aussprechen, was sie beschäftigt, ohne bewertet zu werden. Diese Gespräche sind keine Therapie, sondern eine Form der mentalen Begleitung. Sie öffnen Türen, machen Gedanken sichtbar und ermöglichen es, Muster zu erkennen. Getreu dem Motto: Erst wenn etwas ausgesprochen wird, kann man es auch verändern.
Die Kraft der Offenheit
Offenheit ist trainierbar. Wie Muskelkraft oder Ausdauer. Wer lernt, über sich selbst zu sprechen, stärkt nicht nur seine Kommunikation, sondern auch sein Selbstvertrauen und seine emotionale Regulation. Reden hilft uns, Emotionen zu sortieren, Erfahrungen zu verarbeiten und Ziele neu zu definieren. Es schafft Verbindung – zwischen Athlet:in und Trainer:in, zwischen Mensch und Mensch. In einer Leistungskultur, die oft nur Ergebnisse sieht, braucht es diesen menschlichen Gegenpol. Denn mentale Stärke entsteht nicht im Schweigen, sondern im Austausch.
Mathilde Gremaud und Othmar Hitzfeld haben es vorgemacht: Beide haben den Mut gefunden, über ihre mentale Belastung zu sprechen. Und beide haben genau dadurch wieder Kraft gefunden. Im Mentaltraining ist Reden kein Nebenschauplatz, sondern der Anfang von allem. Jedes ausgesprochene Wort ist ein Schritt in Richtung Klarheit, Leichtigkeit und Entwicklung. Für mich ist nach einigen Jahren als Sport Mental Trainer und über 1000 Settings mit Menschen heute klarer den je: Wer redet, bleibt in Bewegung – innerlich wie äusserlich. Und genau das ist die Essenz mentaler Stärke.
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Der Autor
Name: Simon Kalbermatten
Beruf: Sport Mental Coach, Ausbildner, Mentor, Radioprofi, Journalist, Autor
Website: simonkalbermatten.ch
Motto: «Du kannst – Ende der Geschichte»
Ausbildner in: Mentales Training im Sport
Erfolg beginnt im Kopf – von diesem Grundsatz ist Simon Kalbermatten überzeugt. Wer sich ein realistisches Ziel setzt und die Bereitschaft hat, seine Ressourcen dahingehend optimal einzusetzen, wird Erfolg haben. Seit mehreren Jahren staunt Simon Kalbermatten darüber, was er durch das Training von mentaler Stärke aus den Fussballteams, die er trainiert, herausholt. Dass er als Walliser an der Sport Mental Akademie in Zürich gelandet ist, entspricht keinem Zufall. Menschen faszinieren ihn seit Jahren und der Sport interessiert ihn, seit er in den Kinderschuhen steckt. Demnach will er Sportler auf dem Weg zum Erfolg begleiten und ihnen Optionen aufzeigen, wie sie das Optimum aus sich herausholen können. Sein Motto lautet: «Du kannst – Ende der Geschichte.» Bist du bereit, deine Geschichte zu schreiben?



